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Think Tank Gesellschaftsanalyse. Der Kampf um Aufmerksamkeit.

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Rainer O.
Think Tank Gesellschaftsanalyse. Der Kampf um Aufmerksamkeit.

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Auf 100 Jahre alten Fotos erblicken wir Schüler und Lehrer vor einer Schule, eine Familie vor ihrem Haus, ein Paar vor einer Kirche. Die Anordnung der Körper ist linear bzw. in Reih und Glied. Auffällig ist: Kaum jemand lächelt. Die Fotografien waren gerahmt, standen auf den Kommoden im Wohnzimmer, hingen an den Wänden, befanden sich in Brieftaschen. Meist waren es Gruppen. Ablichtungen dieses Typs sind heute nicht mehr dominant, die Vielzahl der Körper ist der Darstellung des Einzelnen gewichen. Diese befinden sich im Internet auf Cloud Servern und erscheinen auf den „Benutzeroberflächen“ von Computern, Tablet und Smartphones. Die Bilder, zuvor in der Privatheit der Zimmer eingeschlossen, werden heute durch Aushang bekanntgegeben. Der Aushang heißt Posting, sein Zweck ist die öffentliche Selbstdarstellung. Der Steifheit der in Reihe geordneten Gruppen ist die Selbstanordnung des Einzel- Körpers in inszenierten „Posen“ getreten. Die Körper müssen attraktiv erscheinen, die Kleidung stilvoll, die Personen lächeln, die Lippen voll wirken. Zudem muss das Foto sich abheben und sollte vor dem Hintergrund etwas Besonderen, etwa dem Brandenburger Tor, der New Yorker Time Square oder einem langgezogenen Strand aufgenommen sein. Tritt dann noch ein „Prominenter“ ins Bild, ist das Foto perfekt. Zentral dabei: es gilt im Wettbewerb um „likes“ und „retweets“ zu bestehen. Für Lebensrealitäten wie Trauer, Verletzungen, Einsamkeit oder Niederlagen ist im Windhundrennen um Aufmerksamkeit und Bedeutungszuweisung kein Platz. Leid gilt folglich nicht als gesellschaftlich vermittelt, sondern als reine Privatsache. Steht was ich am Beispiel des Fotos entwickelt habe für eine sich veränderte Lebensrealität von Vereinzelung und verschärfter Konkurrenz oder sind wir Zeugen einer Befreiung der Individuen aus den Zwängen der Gesellschaft? Welche Formen hat die Konkurrenz heute angekommen und wie ist sie zu werten ? Nimmt Geltungssucht überhand? Werden wir zu Einzelkämpfern statt gemeinsam für bessere Lebensverhältnisse aller einzutreten oder ist der Wettbewerb fair, konstruktiv und in unserer „Naur“ verankert ? Sind Rechtspopulismus und Nationalismus (auch) Ausdrucksformen eines blinden Protestes derjenigen, die im Spiel um vermeintliche oder echte Anerkennung, „ich gelte, also bin ich“, nicht mehr mitkommen und sich abgewertet fühlen? Ist Konkurrenz unvermeidlich ? Gehen Wettbewerb und Solidarität zusammen ? Ich würde gerne zu diesen Fragen eine kurze Einführung geben und dann darüber diskutieren.

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